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ARCHITEKTUR

 
 

die architektur

Was macht das cedä m in architektonischer Hinsicht außergewöhnlich? In der cusinä (Küche) sprechen Architektin Daniela Zambelli und Gastgeber Markus Pescoller, seit zwei Jahrzehnten Restaurator aus Leidenschaft, über ihre innovativen Ideen, technische und soziale Strukturen und die Herausforderungen eines sanften Tourismus, der die Authentizität eines Ortes bewahrt.

 

im Gespräch

_Markus Pescoller (_M): Ich möchte unser Gespräch mit meiner Idee von einem dislozierten Gasthaus beginnen. Damit meinte ich eine zentrale Rezeption mit Gästezimmern in umliegenden historischen Gebäuden. Du hast dann von der „Ospitalità Diffusa“ erzählt, einem Konzept des sanften Tourismus, mit dem der Entvölkerung der Landschaft entgegen gewirkt werden sollte. Ihr habt dazu eine Gruppe gegründet mit dem Ziel, dieses Konzept im ganzen Comelico umzusetzen.

_Daniela Zambelli (_D): Die Kooperative „LASSÚ“ ist ein Kollektiv von Fachleuten, dem auch ich angehöre. Wie der Name schon sagt: Luoghi Alpini della Salute, della Sostenibilità, delle Unicità – (alpine Orte der Gesundheit, der Nachhaltigkeit, der Einzigartigkeit), ist LASSÚ als Ideengeber und Weitertreiber von Projekten für eine verantwortungsvolle und innovative Entwicklung des Lebens in den Bergen tätig.

Die Ospitalità Diffusa stellt dafür ein neues Modell des touristischen Angebots für Gebiete wie das Comelico dar, die aus kleinen Dörfern bestehen, welche stark von Entvölkerung bedroht sind. Sie schlägt eine Art von Gastfreundschaft vor, die einen nachhaltigen Tourismus fördert, der einer speziellen Art von sozialem Gefüge entspricht, wie er für abgelegene alpine Gebiete charakteristisch ist. Es geht darum, die dörfliche Gemeinschaft mit einzubeziehen. Die Gäste sollen Teil des täglichen Lebens werden, indem sie den Rhythmus, die Zeiten der Arbeit und des Ruhens wie auch die Art des Lebens in den Bergen zusammen mit den Bewohnern entdecken.

Das Ziel der Ospitalità Diffusa ist es, kleinen Dörfern mit ihren tradierten Gemeinschaften das Überleben zu sichern, historische Gebäude zu restaurieren, die andernfalls wahrscheinlich aufgegeben und zerfallen würden und neue Formen der Verwaltung von Dienstleistungen (z. B. kommunale Genossenschaften) zu fördern und anzuregen, um den territorialen wirtschaftlichen Zerfall zu bremsen oder gar aufzuhalten.

Die Hauptziele des Projekts sind somit zum einen die Förderung des Tourismus auch in „untergeordneten Zentren“ und Berggebieten ohne Hotelkomplexen mit eigenen Rezeptionen. Andererseits geht es darum, einer Form des Tourismus einen Wert zu geben, der nicht abgeschlossen in Resorts lebt, sondern in die Realität, den Rhythmus und die Lebensweise der kleinen Bergdörfer „eintaucht“ und daraus eine Erfahrung zieht, die andernorts nicht mehr möglich ist.

_M: Wir kennen uns zwar schon sehr lange, doch bist du keine Architektin, die sich ausschließlich für ihre eigenen Projekte interessiert, sondern jemand, die sich um den Erhalt der Landschaft, das bauliche Erbe und das soziale und kulturelle Leben im Comelico kümmert.

_D: Ich denke, dass jeder Mensch in erster Linie am sozialen Leben des Ortes teilnehmen sollte, an dem er lebt, indem er seinen eigenen Beitrag leistet. Ich persönlich treffe meine Entscheidungen, auch bei meiner Arbeit, mit dem Ziel, die Umwelt und die Landschaft zu erhalten, die das Erbe unserer Kinder sind. Wie beide wissen das sehr gut: Bei der Restaurierung geht es vor allem darum, die Spuren der Vergangenheit zu erhalten, um sie künftigen Generationen zu hinterlassen, Spuren unserer Geschichte, die bleiben oder durch unsere Nutzung nur minimal verändert werden.

_M: Gemeinsam gingen wir dann im Comelico auf die Suche nach einem Gebäude und du hast am Ende die Hälfte dieses Bauernhauses gefunden. Es ist eines der wenigen Häuser in Dosoledo, die nicht vom sogenannten „Rifabbrico“ betroffen waren (der „Rifabbrico“ ist ein in den 1850er Jahren gemeinschaftlich beschlossener Entscheid, das Dorf aus Gründen des zunehmenden Holzverbrauchs, der Erhöhung der Lebensqualität und des Brandschutzes zu schleifen und neu aufzubauen). Unsere gemeinsame Idee war, das cedä m zu einem Prototyp der Neunutzung und Ertüchtigung für das Comelico zu machen, womit wir wieder beim teils verlassenen baulichen Erbe sind.

_D: Unser gemeinsames Projekt hat die Restaurierung und Aufwertung eines Gebäudes ermöglicht, das die Geschichte einer Familie und eines Ortes erzählt, welche sonst verloren gewesen wäre. Die Neunutzung und Refunktionalisierung, wie wir sie entwickelten und umsetzten, schuf gerade die Bewahrung und Aufwertung eines Gebäudes unter Beibehaltung des genius loci, was letztlich den Geist eines authentischen und emotionalen Projekts ausmacht.

_M: Beim cedä m haben wir gemeinsam beschlossen, alle Eingriffe aus den 1970er Jahren und später zu entfernen und das, was dann da war, im Sinne eines Non-Toccare, eines Minimo intervento zu ertüchtigen.

_D: Die Herausforderung bestand darin, die historische architektonische Struktur zu erhalten und gleichzeitig die neuen Funktionen einer touristischen Nutzung mit allen Annehmlichkeiten zu integrieren. Es war nicht einfach, die Ursprünglichkeit und die Atmosphäre der Vergangenheit zu bewahren, aber es ist uns, so denke ich, mit außerordentlicher Sorgfalt und Aufmerksamkeit gelungen. Deine Erfahrung auf dem Gebiet der Restaurierung zusammen mit meiner auf dem Gebiet der Planung und der Normen ermöglichte es uns, Ausnahmeregelungen zu erwirken, um die Struktur statisch und technisch zu ertüchtigen, ohne diese radikal zu verändern, was der Fall wäre, würde man blind die staatlichen Normen umsetzen. Zugleich versuchten wir durch die Nutzung vorhandener Ausbrüche die Eingriffe in die Substanz für das Verlegen der notwendigen Installationen zu minimieren. Auch für die statische Ertüchtigung wurde nicht Stahl, sondern unter Berücksichtigung der technischen und ästhetischen Gebäudetypologie ausschließlich Holz verwendet.

_M: Massive Eingriffe in historischen Gebäuden ergeben sich normalerweise neben dem Brandschutz vor allem durch die technische Gebäudeausstattung und die Statik, was unter der Voraussetzung des Non-Toccare eine große Herausforderung war. Die Pläne sind das eine, die Umsetzung das andere. Ich kann mich erinnern, dass wir am Beginn zu allen Beteiligten sagten: alles, was ihr seht, ist ein Michelangelo. Der Bau ist kein Rohbau, sondern ein fertiges Gebäude, das wir nur ertüchtigen und reparieren wollen.

_D: Das Gebäude wurde wie ein Organismus behandelt. Wir haben die Einbauten und strukturverändernde Ergänzungen der letzten Jahre entfernt, um die Spuren und die Gebrauchsgeschichte hervorzuholen und wiederum lesbar zu machen. Statisch prekäre Teile wurden verbunden und brüchige Bereiche gefestigt. Dank deiner Erfahrung und deines Einfühlungsvermögens haben wir gemeinsam ein schönes Ergebnis erzielt.

Wesentlich für die Neunutzung war, die bestehende Raumstruktur nicht zu verändern, die neue Raumaufteilung der Ferienzimmer mit den neuen Bädern aus dem Bestand zu entwickeln. D. h. das Projekt orientierte sich am Bestand und nicht umgekehrt. Für die Planung der Bäder haben wir, unter der Prämisse, neue Schlitze im Mauerwerk zu vermeiden, das Sanitärsystem auf zwei vertikale Achsen verteilt und es so positioniert, dass wir zwei bestehende vertikale Ausbrüche nutzen konnten. Das Konzept des Badezimmers als Raum der Entspannung wurde bis ins kleinste Detail durchdacht, vor allem Raum und Licht, ohne dabei die Accessoires zu vernachlässigen, um ein Erlebnis für alle Sinne zu gewährleisten.

_M: Die statische Struktur wurde durch Tragwerke aus Altholz und zusätzliche Sparren unterstützt, die normativ geforderte Erdbebensicherheit durch L-Profile, mit denen Stein- und Holzbau verbunden wurden, nachgewiesen.

_D: Wir standen vor einem „zerbrechlichen“ Gebäude, dessen Gleichgewicht gewahrt werden musste und entwickelten daraus ein Konzept punktueller Eingriffe zur statischen Verstärkung, welche die konstruktive Leistung des Gebäudes erhöhte, ohne jedoch das bereits erreichte Gleichgewicht zu stören. Einige fallende Böden wurden beibehalten, um ältere statische Setzungen des Gebäudes und damit auch das in der Vergangenheit erzielte Gleichgewicht lesbar zu machen. Der Dachstuhl wurde durch zusätzliche Sparren und Tragwerke nur ertüchtigt. Im Unterschied dazu wurden jene Teile, die bereits in der Vergangenheit verloren gingen, lesbar belassen, zugleich aber in die „Schichtung“ der vorhandenen historischen Veränderungen, Ergänzungen und Reparaturen eingefügt.

_M: Damit kommen wir zur Nachhaltigkeit, zunächst zur Nachhaltigkeit des Materials. Unabhängig davon, dass alles vor 1970 blieb, also auch funktionierende Zementverputzungen, Reparaturen an den Holzböden und am Dachstuhl, ging es auch um Wiederverwendung und nachhaltige Materialien bei den Ergänzungen.

_D: Im Gespräch mit dir wurde das Prinzip der Nachhaltigkeit zum Eckpfeiler des Projekts. Durch dieses grundsätzliche Bekenntnis zur Nachhaltigkeit sollte eine kurze Lieferkette geschaffen und sollten recyclebare Materialien verwendet werden, um das Projekt auch ethisch zu vertreten. Neue Elemente wie Fenster, Türen oder auch die neue Dachverschalung wurden aus einheimischem Holz gefertigt, das aus den Wäldern stammt, die 2018 durch den Tornado „Vaia“ verwüstet wurden. Für die akustische Isolierung und die statische Verstärkung wurden die Boden- und Deckenbretter abgebaut, mittig auseinander geschnitten und ein Laminat mit den notwendigen Installationsleitungen, einer akustischen Hochleistungsisolierung aus Karton und Sand und der statischen Verstärkung geschaffen. Die so hergerichteten Bretter wurden anschließend wiederum am ursprünglichen Ort eingebaut. Für die thermische Isolierung an den Außenwänden des Blockbaus und zum Nachbarn hin wurde Jute mit Holzfasern verwendet. Durch den sorgfältigen Einbau und die Liebe zum Detail konnte ein guter akustischer Komfort erreicht werden ohne die Ästhetik und darin die Atmosphäre des Baus zu verändern.

_M: Doch kommen wir, bevor wir die Nachhaltigkeit nochmals aufgreifen, zu einem Zwischenthema. Wesentlich für die historisch-soziale Erzählung, die wir mit dem Gebäude transportieren wollten, war, dass es weder zu unserer, noch zu deiner Selbstdarstellung wird. Auch wenn letztlich die Darstellung des Anderen gleichwohl als Darstellung des Selbst gelesen werden kann, blieb das cedä m formal das Bauernhaus, das es war und wurde nicht ein Haus der Daniela Zambelli oder der Pescoller. Nur ein Element fällt auf: die neue verbindende Treppe. Ihr gabst du aus der semantischen und performativen Bedeutung auch eine formale Mächtigkeit.

_D: Ich arbeite nie allein an Projekten, was es mir ermöglicht, nicht an einer Idee (meiner) zu hängen, sondern sie mit meiner Kollegin (Eva Horno) zu teilen und zu verbessern. Auf diese Weise werden die Projekte auf das Bestehende abgestimmt und geformt und sind nicht selbstbezüglich.

Die Treppe war definitiv das schwierigste Problem, das es zu lösen galt. Die Verbindung zwischen den verschiedenen Stockwerken erforderte den Einbau eines wichtigen neuen Elements. Um eine ausgewogene Lösung zu finden, die den Gestaltungsprinzipien gerecht wird, musste viel nachgedacht werden. Wir haben eine Art „Möbel“ entworfen, das einfach herzustellen war, gleichzeitig aber eine Form hat, die Licht in das Herz des Hauses bringen kann. Die Einfachheit dieses Objekts entspricht dem Konstruktionsprinzip des Hauses; und wie in der Vergangenheit haben wir einfache Materialien und Technologien verwendet, um dem neuen Element mit starkem formalen Charakter Nachhaltigkeit zu garantieren.

_M: Es geht, um nochmals darauf zurückzukommen, bei diesem unserem Projekt noch um eine zweite Nachhaltigkeit. Das Gebäude ist ja nicht nur Geschichte. Es hat eine lange Geschichte, eine Geschichte in einem sozialen Raum, in dem es sich einfügte und in dem es sich auch in Zukunft einfügen soll. Der touristische Ort sollte keine Eremitage sein. Der Gast soll hinaus in diesen sozialen Raum. Er soll sich einfügen, denn er soll im Dorf einkaufen, frühstücken und in der Umgebung essen. Es ging uns darum, den Gast mit dem Leben im Dorf zu verstricken. Das Dorf profitiert von den Einnahmen und der Gast von der Milderung des Gefühls von Fremdheit, wenn es ihm gelingt, in den authentischen sozialen Ort einzutauchen, den es hier noch gibt.

_D: Das ist die Herausforderung! Es ist einfacher, die bestehenden Modelle des Massentourismus zu übernehmen, als über die Förderung des sanften Tourismus nachzudenken. Für uns ist diese Art der Tourismusentwicklung die wirklich mutige und ethisch korrekte Wahl. Der Prozess wird sanft und langsam, aber sicher nachhaltig sein, da die Orte in ihrer Eigenart respektiert werden. Es soll ein Übergang von einer ressourcenausbeutenden zu einer ressourcenschonenden Wirtschaft sein. Sie soll es diesen kleinen Dörfern ermöglichen, zu überleben und neue Gemeinschaften zu schaffen, in denen sich die Alteingesessenen mit Zuwanderern und Touristen austauschen, die sich dafür entschieden haben, hier zu leben oder zu bleiben, weil sie sich von einer Welt der Geschwindigkeit loslösen und den doppelten Vorteil des alpinen Klimas und der Abgeschiedenheit genießen wollen.

Ich bin mir sicher, dass dieses unsere gemeinsame Projekt, ein bewährter Umgang sein kann, der die Macht besitzt, weitere Projekte dieser Art nach sich zu ziehen. Schon jetzt wurde um die cedä m bereits ein kleiner Prozess in Gang gesetzt: weitere Gebäude werden wieder- und neugenutzt und in der Folge restauriert.

_M: Wenn ich mich dem Gebäude nähere und wenn ich es betrete, so werde ich jedes Mal wieder von einem Gefühl poetischer Ruhe oder einer leisen Poesie berührt. Immer wieder denke ich darüber nach, woran es liegt. Ist es die Vorsicht unserer Eingriffe, sind es die Spuren der Armut und des Gebrauchs, die wir nicht auslöschten, ist es der Reichtum der Erzählung einer sichtbaren Geschichte, die sich nie erschöpft oder ist es das Gleichgewicht zwischen dieser Geschichte und der Ausstattung aus Second-hand-Mobiliar, Design und Kunst, sodass kein Ding dem anderen Raum nimmt, vielmehr das eine das andere nobilitiert. Darin liegt die Schönheit des Projekts.

_D: Das denke ich auch, und jedes Mal, wenn ich dein Haus betrete, spricht eine andere Ecke oder ein Gegenstand zu mir und erzählt.